Unser tägliches Leben im digitalen Raum ist bestimmt von amerikanischen sowie zunehmend asiatischen Unternehmen und Plattformen. Wie steht es also um die europäische, digitale Unanbhägigkeit bzw. europäische Souveränität? Brauchen wir mehr europäische Global Player wie Google, Microsoft & Co. oder kann eine europäische Lösung nicht auch anders gestaltet sein? Dieser und weiteren Fragen möchten wir in diesem Artikel genauer auf den Grund gehen.
Was bedeutet digitale Unabhängigkeit?
Digitale Unabhängigkeit bzw. digitale Souveränität steht für Selbstbestimmtheit von Gesellschaften, Staaten, Unternehmen oder Individuen im Kontext der Informationstechnik. Konkret geht es also darum unabhängig von nicht-europäischen Lösungen zu sein, wobei eine Nutzung nicht-europäsicher Dienste damit natürlich nicht zwangsläufig ausgeschlossen wird.
Ein Blick in den Alltag der meisten Menschen in Europa genügt, um die Abhängigkeit von amerikanischen Plattformen aufzuzeigen: Die meisten sozialen Netzwerke sind Teil des Meta-Konzerns (Facebook, Instagram, Whatsapp), aber auch LinkedIn, Twitter und TikTok sind keine europäischen Lösungen. E-Commerce findet größtenteils über Amazon statt, Endgeräte laufen mit Microsoft Windows, Android oder Apple’s OS Betriebssystemen. Die meistgenutzte Suchmaschine ist Google und Video-Streaming geschieht größtenteils über Netflix – Dabei handelt es sich lediglich um die bekanntesten Beispiele! Wie die Diskussionen rund um die 5G-Technologie oder Cloud-Computing zeigen, existiert die Abhängigkeit nicht nur auf der individuellen Ebene, sondern auch hinsichtlich der digitalen Infrastruktur in Europa. [1]
Der politische Kontext
Abgesehen von ökonomischen Implikationen dieser Abhängigkeit beschäftigt sich der Artikel hauptsächlich mit den politischen Folgen. Im Kontext des freien Handels und der Globalisierung wurde das Abhängigkeitsverhältnis von globalen, nicht-europäischen IT-Konzernen lange Zeit kaum als Problem wahrgenommen. Erst durch die Veröffentlichung von weitreichenden Fällen an Industriespionage und politische Einflussnahme durch ausländische Unternehmen und Geheimdienste entstand ein flächendeckendes Bewusstsein über die negativen Folgen dieser Abhängigkeit. [2]
Technologische Abhängigkeit
„Ausländische digitale Technologien befinden sich in einer dominanten Position.“
Zu diesem Fazit kommt u.a. eine neue Studie der Konrad-Adenauer Stiftung, die versucht den Grad der digitalen Abhängigkeit für einige Länder mittels des sogenannten Digitale Dependenz Index zu quantifizieren. Der Index differenziert zwischen der Autonomie im Handel mit Informationsgütern, der Unabhägigkeit der Infrastruktur und den Patenten. Während im Handel eine relativ geringere Abhängigkeit in Europa vorliegt, sind die digitale Infrastruktur und Patente sehr stark von nicht-europäischen Lösungen abhängig. Interessant ist hierbei, dass sich an dieser Situation in den letzten Jahren kaum etwas geändert hat. Obwohl das Problembewusstsein für die digitale Souveränität gestiegen ist, ist der Grad der Abhängigkeit in den letzten Jahren konstant hoch. Der relative Abstand zu den USA und China steigt sogar weiterhin an. [3]
Außereuropäischer Datentransfer & Datenschutz
Aus der Abhängigkeit von außereuropäischer Technologie und Infrastruktur erwachsen unter anderem massive Probleme für den Datenschutz, die Privatsphäre und somit in letzter Konsequenz für unsere demokratischen Strutkuren. Die Nutzung nicht-europäischer Lösungen geht oftmals mit fehlender Datenkontrolle einher. Wie bereits mehrfach belegt wurde, kann nicht ausgeschlossen werden, dass private Daten von Einzelpersonen, Unternehmen oder auch politischen Entscheidungsträger:innen in Servern im Ausland gespeichert und verarbeitet werden. [4, 5]
Der Weg zur europäischen Digitalautonomie
Die Europäische DSGVO
Anknüpfend an den Datentransfer ins Ausland muss die Rolle der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) thematisiert werden. Die Idee der DSGVO entstand im Kontext der Debatten rund um die digitale, europäische Souveränität. Diese folgt der Intention ein einheitliches Datenschutz-Regime in ganz Europa zu schaffen. Somit sollte der Datenschutz rechtlich verbindlich für alle Staaten der EU einheitlich geregelt und nicht möglich sein beispielsweise durch Lobby-Arbeit in einzelnen Mitgliedsstaaten den Datenschutz in der EU auszuhebeln. Hinsichtlich der DSGVO vertritt der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Auffassung, dass ein Datentransfer personenbezogener Daten ins außereuropäische Ausland nur dann zulässig ist, wenn in dem jeweiligen Staat ähnlich hohe Datenschutzstandards wie in der EU gelten. Die USA erfülle diese Anforderungen demnach nicht. Problematisch ist nun eine Situation, in der es keine vergleichbare, europäische, digitale Alternative zu einer außereuropäischen Lösung, die die Datenschutzstandards nicht einhält, gibt. In solchen Fällen kommt es immer wieder zur Missachtung der gesetzlichen Vorgaben durch die Nutzung solcher Plattformen – Ein offensichtliches Problem digitaler Abhängigkeiten. Zudem haben die politische Einflussnahme rund um den Brexit und Facebook bzw. Cambridge Analytica klar gezeigt, wie wichtig die Einhaltung europäischer Datenschutzstandards für unsere Gesellschaft und Demokratie ist. [6]
Europäische Großprojekte: GAIA-X
Vielfach wird als mögliche Lösung für mehr digitale Souveränität in Europa der Aufbau eigener Big Player genannt. Anstatt Facebook, Amazon, Google & Co sollen demnach europäische Konzerne aufgebaut und flächendeckend in Europa und global genutzt werden. Das derzeit bekannteste Projekt ist wahrscheinlich GAIA-X. Im Rahmen von GAIA-X soll eine innovative Daten-Infrastruktur geschaffen werden, die rechtssichere Open Source Cloud-Lösungen für die Industrie, Wissenschaft und Verwaltung in Europa anbietet. Allerdings muss dabei angemerkt werden, dass nicht-europäische Cloudanbieter, wie Google, Microsoft und Amazon aktiv an dem Aufbau des Projektes beteiligt sind. [7]
Koexistenz & Wettbewerb kleiner und mittelgroßer Unternehmen
Neben dem Aufbau eigener monopolistischer Konzerne besteht auch die Möglichkeit eine Koexistenz einer Vielzahl an Unternehmen in Europa zu unterstützen, um den freien Wettbewerb zu fördern. In vielen Bereichen des digitalen Alltags ist dies sicherlich sinnvoll und erstrebenswert, wohingegen andere Sektoren gerade die Netzwerkeffekte benötigen, um einen gesellschaftlichen Mehrwert zu bieten. Um ein einfaches Beispiel zu nennen: Soziale Netzwerke sind nur dann sinnvoll, wenn möglichst viele Bekannte und Freund:innen ebenfalls darin vertreten sind. Um solche Gegensätze miteinader zu verknüpfen, gibt es bereits verschiedene Überlegungen, allen voran die Interoperabilität. Europäische Institutionen arbeiten gerade an einem Gesetzesentwurf, der Messenger-Dienste dazu verpflichtet offen für andere Dienste zu sein, um herstellerübergreifende Kommunikation zu ermöglichen.
Es muss also individuell betrachtet werden, ob es tatsächlich eigene große Player benötigt oder eine Vielzahl an Anbieter:innen nicht doch die bessere Lösung darstellt. Insgesamt ist jedenfalls zunächst einmal wichtig, die europäische Abhängigkeit von nicht-europäischen Lösungen zu erkennen und als Problem mit sowohl ökonomischen als auch politischen Implikationen wahrzunehmen und gleichzeitig die Privatsphäre zu stärken. China beispielsweise hat es in den letzten Jahren geschafft, sich mehr und mehr von der Abhängigkeit amerikanischer Unternehmen durch intensive Forschung, Markteingriffe und den Aufbau eigener Konzerne zu lösen. Dennoch hat dies offensichtlich nicht zu einer Verbesserung der Privatsphäre und des Datenschutzes der Bevölkerung geführt.
Quellen
[1] Klein, Bettina (2020): EU will Huawei nicht ausschließen. Online unter: https://www.deutschlandfunk.de/ [29.01.2020].
[2] Lütticke, Marcus (2013): Die Geschichte der NSA-Affäre. Online unter: https://www.dw.com/ [03.11.2013].
[3] Mayer, Maximilian/Lu, Yen-Chi (2022): Europa hat die Konsequenzen seiner digitalen Abhängigkeit noch kaum erkannt. Online unter: https://www.kas.de/.
[4] Pakalski, Ingo (2022): Schulen dürfen Teams bald nicht mehr nutzen. Online unter: https://www.golem.de/ [27.06.2022].
[5] Neuerer, Dietmar (2021): Microsoft Teams, Zoom, WebEx – Berliner Behörde warnt vor gängigen Videosystemem. Online unter: https://www.handelsblatt.com/ [18.02.2021].
[6] Ermert, Monika (2022): Interoperabilität der Messenger – EU und IETF gegen babylonische Verwirrung. Online unter: https://www.heise.de/ [31.05.2022].
[7] Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2019): Das Projekt GAIA-X. Online unter: https://www.bmwk.de/
Pascal gründete gemeinsam mit Jan im Herbst 2020 ViOffice. Dabei kümmert er sich vor allem um das Marketing, die Finanzen und Sales. Nach seinen Abschlüssen in der Politikwissenschaft, der Volkswirtschaftslehre und der angewandten Statistik ist er weiterhin in der wissenschaftlichen Forschung tätig. Mit ViOffice möchte er für alle den Zugang zu sicherer Software aus Europa ermöglichen und insbesondere gemeinnützige Vereine bei der Digitalisierung unterstützen.