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Die Abwärtsspirale: Das Verständnis von Enshittification in Online-Plattformen

In der dynamischen Landschaft der Online-Plattformen ist in letzter Zeit ein Begriff aufgetaucht, der eine nur allzu bekannte, aber oft unausgesprochene Entwicklung beschreibt: Enshittification. Dieser Begriff ist zwar humorvoll, beschreibt aber nüchtern die allmähliche Verschlechterung der Nutzererfahrung auf verschiedenen Online-Plattformen unter dem unerbittlichen Druck der Monetarisierung. „Enshittification“ oder „Plattformverfall“ geht auf einen Blogbeitrag des Autors Cory Doctorow vom November 2022 zurück. Im Jahr 2023 wurde der Begriff sogar von der American Dialect Society zum Wort des Jahres gewählt. Unser Artikel befasst sich mit den Stadien der Enshittification und bietet Einblicke, wie und warum viele beliebte Plattformen in diese Falle tappen. [1]

Schritte zur Enshittification

1. Die vielversprechenden Anfänge

Alles beginnt mit einer Vision – eine Plattform entsteht aus einer innovativen Idee, in deren Mittelpunkt der Nutzer steht. Diese Plattformen betreten oft Neuland und bieten einzigartige, ansprechende und wertvolle Erfahrungen. Sie ziehen schnell eine Nutzerbasis an, die auf den Prinzipien der Gemeinschaft, des Nutzens und der Nutzerzufriedenheit beruht. Diese goldene Ära zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich auf das konzentrieren, was die Nutzer lieben, und so eine treue Gemeinschaft aufbauen. [1,2]

2. Die Monetarisierung

Mit dem Wachstum der Plattformen wachsen auch ihre finanziellen Verpflichtungen. Die anfängliche Konzentration auf das Nutzererlebnis beginnt, sich die Bühne mit der Notwendigkeit zu teilen, Einnahmen zu erzielen. Das ist nicht per se negativ – schließlich müssen sich die Plattformen selbst erhalten. Die Einführung von Anzeigen, Abonnementmodellen oder Premiumfunktionen ist in der Regel der erste Schritt in diese Richtung. Wenn dies mit Bedacht geschieht, kann die Monetarisierung mit einem positiven Nutzererlebnis einhergehen. [1,2]

3. Der Paradigmenwechsel der Prioritäten

Der Kipppunkt bei der Enshittification tritt ein, wenn sich das Gleichgewicht zwischen Monetarisierung und Nutzererlebnis eindeutig zugunsten des ersteren verschiebt. Diese Verschiebung ist häufig eine Reaktion auf externen Druck – Investoren, die nach Rendite streben, Marktwettbewerb oder die schiere Größe des Betriebs. In dem Maße, in dem die Umsatzgenerierung in den Vordergrund rückt, treten die Bedürfnisse und Vorlieben der Nutzer in den Hintergrund. [1, 2]

4. Verschlechterung der Benutzerfreundlichkeit

Nach anfänglicher Zurückhaltung werden die Veränderungen immer aggressiver. Die Plattformen werden werbelastig, der Datenschutz wird zum Opfer, Paywalls werden restriktiver, und Algorithmen geben dem Engagement Vorrang vor der Qualität der Inhalte. Das Nutzererlebnis wird beeinträchtigt, und die Plattformen drängen auf Funktionen, die den Umsatz maximieren, oft auf Kosten dessen, was sie überhaupt erst attraktiv gemacht hat. [1,2]

5. Der letzte Abstieg: Enshittification abgeschlossen

Der Begriff „Enshittification“ beschreibt die letzte Phase dieser Reise – eine Plattform, die einst als nutzerzentrierte Gemeinschaft florierte, ist heute nur noch ein Schatten ihres früheren Selbst, der in erster Linie von Profitmotiven angetrieben wird. Die Unzufriedenheit der Nutzer ist groß, und das ursprüngliche Wertversprechen ist unter Schichten von Monetarisierungstaktiken begraben. Nach Doctorows Erklärung ist dies der Punkt, an dem Plattformen endgültig zusammenbrechen. [1,2]

Fallstudie: Facebook

Doctorows Lieblingsbeispiel für den Verfall von Plattformen ist offenbar der Weg, den Facebook von seinem revolutionären, wenn auch nicht unumstrittenen Start bis zur heutigen, oft ungeliebten, werbeverseuchten und, wie viele bestätigen, völlig toxischen „unsozialen“ Plattform genommen hat. [2, 3, 4, 5, 6, 7, 8]

Doctorow stützt seine Analyse auf die ökonomischen Anreize. Einst mit einem hohen Überschuss an Risikokapital gestartet, wuchs Facebook mit innovativen Funktionen und dem Versprechen, ein privater Ort zu sein, an dem jeder mit seinen Freunden in Kontakt treten kann. In dieser ersten Phase wird dieser Überschuss den Nutzern in Form von nutzerorientierten Funktionen und niedrigen Einstiegshürden zur Verfügung gestellt. Entscheidend ist, dass dies den Lock-in-Effekt vieler Social-Media-Plattformen ausnutzt, während Facebook diese Kunst tatsächlich verfeinert hat. [2, 6]

Der Netzwerkeffekt verhalf Facebook zu einem enormen Wachstum, und als die Umstellungskosten hoch genug waren (und die Risikokapitalgeber hinsichtlich ihrer Investitionsrenditen ungeduldig zu werden begannen), begann die Plattform in dieser zweiten Phase mit der Einführung datenschutzverletzender Maßnahmen wie gesponserte Inhalte, nicht-chronologische Timelines sowie gezieltes Tracking und Werbung. [2, 6, 7, 8, 9]

Die Zahl der Nutzer und der Marktanteil von Facebook bei der Werbung verstärkten den Lock-in-Effekt nicht nur für die Nutzer der Plattform, sondern auch für Werbetreibende und Unternehmen, die versuchten, ihre Zielgruppe zu erreichen. An diesem Punkt, so Doctorow, beginne in der dritten Phase der Kipppunkt der „Enshittification“. Aufgrund ihrer Marktdominanz ist die Plattform nun in der Lage, Überschüsse für sich selbst zu erwirtschaften, während sie durch weitere invasive Monetarisierungsmaßnahmen sowie höhere Preise für Werbetreibende aufgrund ihrer (Quasi-)Monopolstellung Wohlstand aus den Nutzern herauspresst. [2, 6, 8]

Diese Maßnahmen gehen in der vierten Phase noch weiter, da die Plattformen versuchen, Gewinne zu erzielen. Doctorow erklärt, dass sich in dieser Phase das Nutzererlebnis sowie die Gewinne und Vertragsbedingungen von Werbetreibenden und Verlagen weiter verschlechtern, während Nutzer und Unternehmen durch den Netzwerkeffekt gebunden bleiben. [2, 6]

Diese Netzwerkeffekte sind jedoch auch der Grund, warum Plattformen in der letzten Phase des Plattformverfalls innerhalb kurzer Zeit zusammenbrechen. Wenn niemand die Plattform aufgrund all der Gemeinschaften und Freundschaften, die sie auf ihr aufgebaut haben, verlassen will, trotz all der benutzerfeindlichen Funktionen und der sich verschlechternden Erfahrung, wird irgendwann ein Wendepunkt erreicht, an dem die Wechselkosten niedriger sind als die Kosten für den Verbleib auf der Plattform. Sobald die Leute anfangen, die Plattform zu verlassen, kehrt sich der Netzwerkeffekt um und die Bindung an die Plattform wird schwächer, bis immer mehr Leute eine Alternative irgendwo anders im Internet finden. [2, 6, 7, 8]

Fazit

Two people sitting in front of a laptop, pointing at its screen.

Enshittification dient als abschreckendes Beispiel für neue Plattformen und als Weckruf für etablierte Plattformen. Sie fordert die Tech-Industrie heraus, nachhaltige Geschäftsmodelle zu finden, die Rentabilität und Nutzerzufriedenheit in Einklang bringen. Die Zukunft der Online-Plattformen hängt davon ab, ob sie in der Lage sind, nicht nur technologische Innovationen zu entwickeln, sondern auch Geschäftsstrategien, die das Nutzererlebnis über alles stellen.

Die Analyse des Plattformverfalls ist auch eine Kritik am heutigen Kurs von Big Tech und der Gigeconomy, die von einigen wenigen (Quasi-)Monopolisten beherrscht werden, deren Macht weit größer ist als die vieler Staaten der Erde. Es ist auch ein Aufruf zu nutzerzentrierten, nutzergeführten und dezentralisierten Plattformen, die nicht in der Hand von wenigen sind, sondern von den Menschen, die sich auf ihnen sozialisieren. [6, 7, 8]

Als Nutzer und Verbraucher können wir, wenn wir uns dieses Trends bewusst sind, bessere Lösungen fordern. Als Entwickler, Unternehmer oder Investoren erinnert es uns an den langfristigen Wert des Vertrauens und der Zufriedenheit der Nutzer. Wir hoffen auf eine digitale Welt, in der Enshittifizierung die Ausnahme und nicht die Norm ist.

Quellen

  1. Doctorow, C. (2023): Tiktok’s enshittification. URL: https://pluralistic.net/2023/01/21/potemkin-ai/#hey-guys
  2. Doctorow, C. (2024): My McLuhan lecture on enshittification. URL: https://pluralistic.net/2024/01/30/go-nuts-meine-kerle/#ich-bin-ein-bratapfel
  3. Carlson, N. (2010): At last — the full story of how Facebook was founded. URL: https://www.businessinsider.com/how-facebook-was-founded-2010-3
  4. Sadowski, J. (2021): Facebook is a harmful presence in our lives. It’s not too late to pull the plug on it. URL: https://www.theguardian.com/commentisfree/2021/oct/06/facebook-scandals-social-media
  5. Gross, T. (2021): Reporters Reveal ‚Ugly Truth‘ Of How Facebook Enables Hate Groups And Disinformation. URL: https://www.npr.org/2021/07/13/1015483097/an-ugly-truth-how-facebook-enables-hate-and-disinformation
  6. Doctorow, C. (2023): The Internet Con – How to Seize the Means of Computation. URL: https://craphound.com/category/internetcon/
  7. Giblin, R. & Doctorow, C. (2022): Chokepoint Capitalism – How Big Tech and Big Content Captured Creative Labor Markets and How We’ll Win Them Back. URL: https://craphound.com/category/chokepoint/
  8. Doctorow, C. (2021): How To Destroy Surveillance Capitalism. URL: https://craphound.com/category/destroy/
  9. Voigt, E. (2024): Meta zahlt nach Milliardengewinn erstmals Dividende. URL: https://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2024-02/meta-facebook-instagram-gewinn-dividende
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Pascal gründete gemeinsam mit Jan im Herbst 2020 ViOffice. Dabei kümmert er sich vor allem um das Marketing, die Finanzen und Sales. Nach seinen Abschlüssen in der Politikwissenschaft, der Volkswirtschaftslehre und der angewandten Statistik ist er weiterhin in der wissenschaftlichen Forschung tätig. Mit ViOffice möchte er für alle den Zugang zu sicherer Software aus Europa ermöglichen und insbesondere gemeinnützige Vereine bei der Digitalisierung unterstützen.

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Jan ist Mitgründer von ViOffice. Er kümmert sich insbesondere um die technische Umsetzung und Wartung der Software. Seine Interessen liegen insbesondere in den Themengebieten Sicherheit, Datenschutz und Verschlüsselung.

Neben seinem Studium der Volkswirtschaftslehre, später der angewandten Statistik und seiner daran anknüpfenden Promotion, hat er jahrelange Erfahrung im Bereich Softwareentwicklung, Opensource und Serveradministration.

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