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Gastbeitrag: Unwort ‚Home-Office‘

Der Psychologe und angehende Psychotherapeut Lukas Maher schreibt in diesem Gastbeitrag zum Thema “Home Office” und dessen Auswirkungen auf die mentale Gesundheit.

Home Office“ – Unwort 2020, ist auch in diesem Jahr eine der wohl wirksamsten nicht-pharmakologischen Interventionen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens des SARS-CoV-2-Virus und seiner Mutanten.

Laut einer Umfrage von Statista [9], bei der rund 800 Personalleiter:innen befragt wurden, ist eine Arbeit vom häuslichen Umfeld aus für fast 80% der Angestellten möglich. Genutzt scheint dieses Potential bislang aber noch wenig, eine Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung ergab, dass nur rund 24% der Erwerbstätigen Ende Januar vollständig oder teilweise von zuhause aus arbeiteten [2]. Diese beziffern das Home Office Potential zwar niedriger, auf 39%, eine Diskrepanz ergibt sich allerdings aus beiden Befragungen. Im Vergleich zu den Vormonaten lässt sich zumindest ein moderater Anstieg verzeichnen, lag die Quote der in Heimarbeit beschäftigten im November nur bei rund 14%. Neben vermeintlich ökonomischen Gründen gegen und nachvollziehbaren pandemischen Gründen für die Heimarbeit, stellt sich mir, als Psychologe und angehender psychologischer Psychotherapeut die Frage, wie es um die mentale Gesundheit der Beschäftigten steht, die im Home Office arbeiten.

Der mentale Fallout steht uns erst noch bevor

Die negativen psychischen Folgen der Coronapandemie für die geistige Gesundheit sind mittlerweile gut belegt [3, 8]. Viele Forschungsgruppen stürzen sich in freudiger Erwartung steigender wissenschaftlicher Publikationen nur allzu gerne auf das Thema SARS-CoV-2 und auch, wenn viele Ergebnisse meist nur korrelative Zusammenhänge darstellen, ist schon jetzt klar, dass sowohl die Erkrankung an sich mit negativen Folgen für die Psyche assoziiert ist [1], darunter Angststörungen, Traumafolgestörungen, Depressionen, als auch Folgen der Pandemie als Ganzes [1], deren Ausmaß wir vermutlich erst in 1-2 Jahren annähernd verstehen können. Ohne Schwarzmalen zu wollen, aber der mentale Fallout steht uns erst noch bevor, insbesondere im Bereich Kinder- und Jugendlichenpsychiatrie.

Wie reiht sich da das Home Office als nicht-pharmakologische Intervention zur Eindämmung des Pandemiegeschehens ein? Welche Vorteile können Beschäftigte erwarten, welche Nachteile für die geistige Gesundheit sind vorprogrammiert und welche steuerbar?

Home Alone

Für die breite Bevölkerung ist Heimarbeit eher als eine mentale Herausforderung während der Coronapandemie zu bewerten. Schon seit Jahrzehnten zeigen Daten die Auswirkungen von sozialer Isolation auf (körperliche und) geistige Gesundheit. Auch erste Übersichtsarbeiten zur aktuellen Situation, die mit Vorsicht zu genießen sind, weisen in die gleiche Richtung:

Isolation und Einsamkeit begünstigen depressive Symptome [4]. Auch eine ältere „präpandemische“ Arbeit von Matos und Galinsky zeigte, dass Menschen die zunehmend in Heimarbeit arbeiten, eher Symptome von Einsamkeit und Isolation berichten. Das scheint bislang konsistent zu sein [5].

Weitere Belastungsfaktoren sind in der unklaren Trennung von Privatleben und Berufsleben, gewissermaßen eine Verflüssigung und den längeren de-facto Arbeitszeiten zu sehen. Gleichzeitig reduzieren sich informelle Gespräche, Smalltalk, „lockeres Beisammensein“ [7]. Moderiert werden die Effekte durch eine mangelnde Unterstützung seitens der Arbeitgeber:innen [7, 10]. Durch technologische Entwicklungen können einige der Barrieren zwar überbrückt, aber nicht vollständig überwunden werden. In der Umsetzung gehindert werden die Entwicklung zumeist vom kläglichen Ausbau der digitalen Infrastruktur in Deutschland und einer allgemein niedrigen technischen Compliance relevanter Stakeholder.

Geschlechter-Effekte

Ein weiteres Armutszeugnis, neben der spätmittelalterlichen digitalen Ausstattung des deutschen Bildungssystems, lässt sich in Sachen Gender-Equality ausstellen. Nicht nur, dass es für Frauen im Lockdown um einiges schwieriger geworden ist, häusliche und berufliche Tätigkeiten voneinander zu trennen, so scheint es auch, dass diese von der Heimarbeit eher negativ betroffen sind als Männer [7]. Ein logischer, aber deprimierender Zusammenhang. Von einer Zunahme häuslicher Gewalt durch eine erhöhte Exposition der Betroffenen ihrer Täter (bewusst ungendered) mal ganz abgesehen.

So weit, so schlecht. Home-Office scheint Isolation zu begünstigen, Arbeit unter bestimmten Bedingungen zu erschweren und die Trennung von Arbeit und Privatleben zu verflüssigen. Besonders für Frauen scheint dies negative gesundheitliche Folgen zu haben.

Gibt es denn auch Vorteile am Home Office oder können wir uns darauf einstellen, alle an Gesundheit einzubüßen?

Kontext und Handlungsspielraum

Von organisationaler Seite aus kann ein großer Einfluss auf die Gesundheit genommen werden, wenn diese ihre Home Office Bedingungen anpassen, strukturierte Programme, Trainings und Policies entwickeln und diese in ihren Betrieben umsetzen. Für die Home Office-Implementierung braucht es einen „kulturellen Unternehmenswandel“ oder zumindest die Bereitschaft, es nicht nur in die Hand der Erwerbstätigen zu legen. Auch supportive Angebote zur Trennung von Beruf und Privatleben, Vernetzungsangebote für Kolleg:innen können hilfreich sein [7].

Ein anderer Aspekt ist das in der Arbeitspsychologie hoch gehandelte Gut der Autonomie, bzw. des Handlungsspielraums. Folgt man dieser fast schon dogmatisch propagierten Maxime könnte ein mehr an Heimarbeit den Handlungsspielraum der Erwerbstätigen vergrößern, da diese in manchen beruflichen Kontexten mehr Spielräume haben, sich z.B. die Arbeit einzuteilen. Positive Ergebnisse scheinen zumindest anekdotisch überliefert.

Für wen das mehr an Heimarbeit also, zu den eher allgemein gehaltenen negativen Effekte, zusätzliche positive Effekte mit sich bringt und wie sich diese dann im jeweiligen beruflichen Kontext ausgestalten, ist eine Frage, welche die empirische Wissenschaft noch lange nicht im Stande ist zu beantworten. Ich glaube, das wird sie auch nicht so bald sein. Die Frage ist, welche Handlungsempfehlungen für welche Branche am ehesten gelten und wie sich diese mit dem Individuum aushandeln lassen.

Und jetzt?

Für viele Erwerbstätige ist dieses sorgfältige abwägen momentan nicht möglich. Es heißt Jahrhundertpandemie, Hochrisikogruppe oder schlicht: Komm oder verlier‘ deinen Job. Für diejenigen, die im Home Office arbeiten und ihre mentale Gesundheit zusehends unter Stress erleben, hier einige „Tipps“ zusammengeschrieben, die unter Umständen helfen können – aber nicht müssen:

Routinen

Feste Routinen helfen dabei Arbeitszeit und Privatleben weniger miteinander zu vermischen, d.h. feste Uhrzeiten(fenster), Frühstück, Vorbereitung auf die Arbeit. Ja, Duschen und aus den Schlafklamotten rausgehen, zählen auch dazu. Feste Pausen und nach dem Ende der Arbeitszeit auch wirklich aufhören zu arbeiten. Es klingt so banal, ist es aber leider nicht.

“Investment” Arbeitsplatz

Das beginnt wohl schon bei der Arbeitsatmosphäre. Ruhige Umgebungen ohne Störsignale (sofern möglich), in denen alle Arbeitsmaterialien bereitstehen. Die Couch mag bequem erscheinen, lädt aber zum Entspannen und Abschalten ein. Auch hier sollten Beruf und Privatleben nicht verwässert werden.

Pausen

Im Home Office scheint ständige Verfügbarkeit sehr naheliegend. Umso wichtiger ist es, Pausen regelmäßig einzuplanen und in die Routine von 1. zu integrieren. Selbst, wenn es nur 5-10 Minuten sind. Auf der Arbeit würde man sich ja auch mal mit den Kolleg:innen austauschen.

Verbunden bleiben

Wenn man unter Isolation leidet, kann es sinnvoll sein, schriftlichen auf (video)-telefonischen Austausch umzulegen, um so zumindest den eher informellen Austausch zu begünstigen, selbst wenn er im beruflichen Rahmen stattfindet.

Grenzen setzen

Besonders für diejenigen wichtig, die nicht alleine von zuhause aus arbeiten, Paare oder Familien zum Beispiel. Das setzt ein gutes Maß an Kommunikation voraus, trotz gewonnener Flexibilität, die Grenzen zwischen Familienleben und Arbeit nicht zu verwässern. Das ist mit Sicherheit kein leichter Punkt.

Mentales Training

Auch unser Geist kann von mentalem Training profitieren. Entspannungsübungen oder Achtsamkeitspraxis können – wenn sie zu den Anwender:innen passen – positive Effekte auf die geistige Gesundheit haben. Müssen sie aber nicht.

Quellen

  1. Bridgland VME, Moeck EK, Green DM, Swain TL, Nayda DM, Matson LA, et al. (2021) Why the COVID-19 pandemic is a traumatic stressor. PLoS ONE 16(1): e0240146. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0240146
  2. Hans-Böckler Stiftung. (2021). Studien zu Home Office und mobiler Arbeit. Abgerufen am 24.02.2021. Verfügbar unter: https://www.boeckler.de/de/auf-einen-blick-17945-Auf-einen-Blick-Studien-zu-Homeoffice-und-mobiler-Arbeit-28040.htm
  3. Kontoangelos K, Economou M, Papageorgiou C. Mental Health Effects of COVID-19 Pandemia: A Review of Clinical and Psychological Traits. Psychiatry Investig. 2020 Jun;17(6):491-505. doi: 10.30773/pi.2020.0161. Epub 2020 Jun 15. PMID: 32570296; PMCID: PMC7324731.
  4. Loades, M. E., Chatburn, E., Higson-Sweeney, N., Reynolds, S., Shafran, R., Brigden, A., Linney, C., McManus, M. N., Borwick, C., & Crawley, E. (2020). Rapid Systematic Review: The Impact of Social Isolation and Loneliness on the Mental Health of Children and Adolescents in the Context of COVID-19. Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry, 59(11), 1218–1239.e3. https://doi.org/10.1016/j.jaac.2020.05.009
  5. Matos K, Galinsky E. Commentary on How Effective Is Telecommuting? Assessing the Status of Our Scientific Findings. Psychological Science in the Public Interest. 2015;16(2):38-39. doi:10.1177/1529100615604666
  6. Nakrošienė, A., Bučiūnienė, I. and Goštautaitė, B. (2019), “Working from home: characteristics and outcomes of telework”, International Journal of Manpower, Vol. 40 No. 1, pp. 87-101. https://doi.org/10.1108/IJM-07-2017-0172
  7. Oakman, J., Kinsman, N., Stuckey, R. et al. A rapid review of mental and physical health effects of working at home: how do we optimise health?. BMC Public Health 20, 1825 (2020). https://doi.org/10.1186/s12889-020-09875-z
  8. Panchal, Kamal, Cox & Garfield. (2021). The Implications of COVID-19 for Mental Health and Substance Use. The Kaiser Familiy Foundation. Abgerufen am 24.02.2021. Verfügbar unter:  https://www.kff.org/coronavirus-covid-19/issue-brief/the-implications-of-covid-19-for-mental-health-and-substance-use/
  9. Statista Research Department. (2020). Statistiken zum Home-Office. Abgerufen am 24.02.2021. Verfügbar unter: https://de.statista.com/themen/6093/homeoffice/.
  10. Sykes D., Faruqi S., Holdsworth L., Crooks M. (2020) Impact of COVID-19 on COPD and Asthma admissions and the pandemic from a patient’s perspective. ERJ Open Research DOI: 10.1183/23120541.00822-2020
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Lukas Maher

Unser Gastautor Lukas ist Psychologe und angehender Psychotherapeut. In seinem Projekt Systemische Gesundheit beschäftigt er sich mit mentaler Gesundheit vor allem im Kontext von Ernährung und Sport. In einem Gastbeitrag schreibt er zum Thema Home Office und dessen Auswirkungen auf die mentale Gesundheit.

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