Jetzt neu!

Die ViOffice Cloud ist jetzt GRATIS für bis zu 3GB Speicherplatz. Jetzt registrieren!
Zum Inhalt springen
Startseite » Blog » Europas Abhängigkeit von US-Tech

Europas Abhängigkeit von US-Tech

Im Lichte der Digitalisierungsbemühungen der COVID-19 Pandemie wurde ViOffice im Jahr 2020 insbesondere mit der Absicht gegründet, Privatpersonen, Vereinen und Unternehmen in Deutschland eine nachhaltig, transparente und vor allem auf Basis von Freier und Open Source Software betriebene Office-Plattform zu bieten. Hierbei war es wichtig, dass eine solche Plattform vollkommen unabhängig von Drittdiensten (insb. aus dem Nicht-EU Ausland) ist und dass alle Daten & Informationen zu keinem Zeitpunkt die Server in Deutschland verlassen.

Diese Idee war zu dem Zeitpunkt selbstverständlich gar nicht neu. Speziell im Umfeld europäischer Open Source Enthusiast:innen gab und gibt es immer wieder Bestrebungen, europäische Plattformen, die unabhängig von Tech-Giganten wie Microsoft, Google, Amazon, Apple, Tencent oder auch Alibaba sind, in unterschiedlichsten Skalierungen aufzubauen. So soll die bereits seit Jahren geplante europäische Cloud-Plattform Gaia-X endlich die europäische Wirtschaft digitalisieren und ins 21. Jahrhundert katapultieren. Dieses Unterfangen geht allerdings nur schleppend voran. [1]

Auch Open-Source-Lösungen für Endnutzer:innen, wie beispielsweise Nextcloud, erfreuen sich insbesondere in Deutschland wachsendem Zulauf – und das nicht ausschließlich bei IT-Expert:innen und Datenschutz-Aktivisti. [2, 3]

Auf einer Makro-Ebene steht Europa dennoch vor einem scheinbar unlösbarem Problem: der gesamtgesellschaftlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit von US-Tech Diensten. Hierbei geht es gar nicht unmittelbar um die von Millionen Menschen in Europa täglich genutzten Diensten wie Instagram, Whatsapp, Amazon, Netflix oder Google. Auch hier besteht zweifelsohne eine Abhängigkeit oder zumindest starke Integration, deren Wegfall unangenehme persönliche Konsequenzen haben könnten. Dies wiederum kann zu einer verschobener (Verhandlungs-) Macht zu Gunsten insbesondere den USA führen.

Viel mehr noch ist jedoch ein Augenmerk auf die Abhängigkeit europäischer Unternehmen und dem Staat selbst von außer-europäischen Tech-Konzernen zu legen. Beispielsweise, wenn Abläufe staatlicher Verwaltungsapparate oder die wirtschaftliche Zukunft einer gesamten Region von einzelnen Akteur:innen mit grundsätzlich verschiedenen Interessen abhängen. [4]

Abhängigkeit von „Cloud-Capital“

Bei aller Kritik an Abhängigkeiten zu ausländischen Dienstleistenden ist jedoch wichtig nicht in Nationalismen und Abschottung zu verfallen. Die Nutzung von Diensten aus den USA, China oder anderen Tech-Metropolen ist nicht per sé ein Problem. Die Globalisierung bringt wirtschaftliche, kulturelle und infolgedessen auch Infrastrukturelle Verflechtungen, welche grundsätzlich als Chance statt als Problem angesehen werden sollten. In Europa sind die Vorteile der wirtschaftlichen Zusammenarbeit so sichtbar wie nirgendwo sonst auf der Welt, insbesondere mit Blick auf die kriegerische Historie, nationalen Alleingängen und der gegenseitigen Abschottung auf dem Kontinent in den vergangenen Jahrhunderten. Und das gilt natürlich auch über die Grenzen der Europäischen Union hinaus.

Zum Problem werden diese Verflechtungen durch wirtschaftliche Abhängigkeiten von Monopolen oder Akteur:innen, die gegensätzliche Interessen verfolgen. Letzteres erfährt Europa schmerzlichst im Zuge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine im Verbund mit den energiewirtschaftlichen Abhängigkeiten mit dem Aggressor. Oder aktuell auch im Zollkonflikt mit den USA. [5]

Der Ökonom und frühere Finanzminister Griechenlands, Yanis Varoufakis, geht in seiner Analyse der Auswirkungen globaler Tech-Giganten auf die gesamte Welt noch einen Schritt weiter. Er beschreibt einen Prozess der letzten Jahrzehnte, der dazu führte, dass Marktlogiken durch das Entstehen von Monopolen größtenteils ausgehebelt wurden. Statt von Profiten würden diese Unternehmen Renten erwirtschaften in einem System, welches er mit dem vor-kapitalistischen Feudalismus vergleicht. Direkte und nahezu unauflösbare Abhängigkeiten seien Teil dieses Konstrukts, ebenso wie der fehlende Wettbewerb. [6, 7, 8]

Ein europäisches Google?

Politiker:innen in Europa fordern nicht zuletzt seit dem drohenden Zollstreit mit den USA den Aufbau eines „europäischen Google“. Gemeint ist damit nicht (nur) eine eigene europäische Suchmaschine, ohne Abhängigkeiten in die Vereinigten Staaten von Amerika, sondern einen oder mehrere europäische Tech-Giganten, die es mit der amerikanischen und chinesischen Tech-Hegemonie aufnehmen können. [9, 10, 11]

Die Sorge, dass es im Konflikt mit den USA zu einer Situation kommen könnte, in der Europa „der Stecker gezogen wird“, IT-Infrastruktur also von heute auf Morgen einfach abgeschaltet wird, ist aktuell zumindest nicht mehr undenkbar. Und auch wenn es nicht dazu kommt, verschiebt die große Abhängigkeit durch die flächendeckende Nutzung von Microsoft Windows & Office, Amazon AWS, Google Cloud & Android, Apple oder auch Zahlungsdienstleistern wie Paypal, Visa, Mastercard, dem Swift-Zahlungssystem und vielen weiteren die Verhandlungsmacht erheblich Richtung USA. [4, 10, 11, 12]

Zwar könnte ein „europäisches Google“ die Abhängigkeit von außer-europäischen Tech-Giganten vermutlich schmälern, falls der Aufbau eines solchen Unternehmens gelänge, jedoch wäre auch die Abhängigkeit zu einem lokalen „Tech-Lehensherr“, wie Varoufakis dies bezeichnet, wohl nicht im Interesse europäischer Bürger:innen. [7, 8, 11]

Zum einen sind Gegenmonopole kein adäquates Mittel gegen bereits existierende Dominanz und stärken auch nicht die Stellung europäischer Verbraucher:innen. Vielmehr begünstigen sie einen Prozess, der vom Autor Cory Doctorow als „Enshittification“ bezeichnet wird. Zum anderen folgt der Aufbau eines europäischen Tech-Giganten in Reaktion auf den Status Quo nationalistischen Tendenzen und der Ausbeutung anderswo auf der Welt, beispielsweise durch billige „Klick-Arbeiter:innen“ im globalen Süden. [13, 14]

Genau hier liegt ein riesiges Potenzial in Freier und Open Source Software. Der Kampagne „Public Money? Public Code!“ folgend, wäre nun die Zeit, großflächig in öffentlich finanzierte, gemeinschaftlich bestimmte und dem Gemeinwohl bereitgestellte Software und Plattformen zu investieren, statt auf Nationalismen und Marktdominanz zu setzen. Gleichzeitig ist es nötig, die Auswirkungen der Marktmacht von globalen Tech-Giganten zu limitieren und sich schnellstmöglich von ihnen zu lösen – insbesondere dort, wo es demokratische Institutionen betreffen kann. Allem voran ist eine zielgerichtete Steuerung und entsprechendes politisches Engagement nötig. [14, 15, 16, 17, 18, 19]

Dieses Unterfangen ist ein gesamtgesellschaftliches und in allererster Linie ein politisches. Jedoch existiert Politik und Wirtschaft nicht im luftleeren Raum. Öffentliche Diskussion und privates Handeln können durchaus einen Einfluss auch auf politisches Handeln haben. Und so möchten wir uns für die Nutzung von unabhängiger Software, vertrauenswürdigen Plattformen und dem Abbau von Lock-In Effekten aussprechen und die Verbreitung solcher Dienste voranbringen. Software oder Plattformen sind nicht per sé besser, wenn sie aus Europa oder Deutschland kommen. Eine „patriotische Softwarenutzung“ löst nicht die zugrundeliegenden Probleme. Offene Standards, transparente Entwicklung und die Ermöglichung von tatsächlichem, fairen und Verbraucher:innen-orientiertem Markt hingegen tun genau dies.

Quellen

  1. Dachwitz, I., Biselli, A., Rudl, T. (2019): Schornsteine zu Cloudspeichern. URL: https://netzpolitik.org/2019/schornsteine-zu-cloudspeichern/
  2. Korotaev, M. (2023): Nextcloud 2023 Wrap-Up. URL: https://nextcloud.com/de/blog/nextcloud-2023-wrap-up/
  3. Poortvliet, J. (2022): Nextcloud keeps growth up with 75% more revenue and 10x userbase. URL: https://nextcloud.com/de/blog/nextcloud-keeps-growth-up-with-75-more-revenue-and-10x-userbase/
  4. Zajonz, D. (2025): Deutschland in der Digitalfalle?. URL: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/digitales/microsoft-50-jahre-dominanz-techindustrie-100.html
  5. Albert, E. (2025): Tariffs: A major global economic slowdown looms. URL: https://www.lemonde.fr/en/economy/article/2025/04/05/tariffs-a-major-global-economic-slowdown-looms_6739865_19.html
  6. Ali, S. H. (2023): Yanis Varoufakis’s new book argues capitalism has mutated into technofeudalism. URL: https://www.thenationalnews.com/arts-culture/books/2023/09/26/yanis-varoufakis-technofeudalism-book
  7. Yanis Varoufakis (2023): Technofeudalism – What Killed Capitalism. ISBN: 978-1-5299-2609-5.
  8. Meaker, M. (2024): Welcome to the Age of Technofeudalism. URL: https://www.wired.com/story/yanis-varoufakis-technofeudalism-interview/
  9. Thurau, J. (2025): Robert Habeck: „Das nächste Google muss aus Europa kommen“. URL: https://www.dw.com/de/habeck-das-n%C3%A4chste-google-muss-aus-europa-kommen/a-71357385
  10. Kreye, A. (2025): Einfach mal den Stecker ziehen. URL: https://www.sueddeutsche.de/kultur/max-schrems-transatlantischer-datenverkehr-li.3226552
  11. Reuter, M. (2025): Wie kann Europa digital unabhängiger werden? URL: https://netzpolitik.org/2025/digitale-souveraenitaet-und-eurostack-wie-kann-europa-digital-unabhaengiger-werden/
  12. Heise c’t (2025): Europäische Cloudanbieter planen gemeinsamen API-Standard. c’t 9/2025, S. 49 URL: https://www.heise.de/select/ct/2025/9/2509113374370157324
  13. Marx, P. (2024): A Setback for Gig Workers’ Rights in Europe. URL: https://techwontsave.us/episode/209_a_setback_for_gig_workers_rights_in_europe_w_ben_wray
  14. Blankertz, A. (2025): On tech sovereignty – how to nail jelly to a tree. URL: https://www.structural-integrity.eu/on-tech-sovereignty-how-to-nail-jelly-to-a-tree/
  15. Rikap, Cecilia; Durand, Cédric; Paraná, Edemilson; Gerbaudo, Paolo; Marx, Paris; (2024) Reclaiming digital sovereignty: A roadmap to build a digital stack for people and the planet. UCL Institute for Innovation and Public Purpose (IIPP): London, UK. URL: https://discovery.ucl.ac.uk/id/eprint/10202865/
  16. TAZ (2025): EU will manipulative Praktiken beenden. URL: https://taz.de/Big-Tech-Konzerne/!6081695/
  17. Kramp, L., Weichert, S. (2025): Warum Journalismus mehr Rückgrat benötigt. URL: https://taz.de/Medien-und-Demokratie/!6079120/
  18. LeMonde (2025): The EU must stand firm against digital giants. URL: https://www.lemonde.fr/en/opinion/article/2025/04/24/the-eu-must-stand-firm-against-digital-giants_6740578_23.html
  19. Marx, P. (2025): Can Europe End Its Dependence on US Tech? URL: https://techwontsave.us/episode/271_can_europe_end_its_dependence_on_us_tech_w_aline_blankertz
Website |  + posts

Jan ist Mitgründer von ViOffice. Er kümmert sich insbesondere um die technische Umsetzung und Wartung der Software. Seine Interessen liegen insbesondere in den Themengebieten Sicherheit, Datenschutz und Verschlüsselung.

Neben seinem Studium der Volkswirtschaftslehre, später der angewandten Statistik und seiner daran anknüpfenden Promotion, hat er jahrelange Erfahrung im Bereich Softwareentwicklung, Opensource und Serveradministration.