Was früher futuristisch anmutete, ist längst Realität geworden: Kameras, die Gesichter erkennen, Systeme, die Stimmen analysieren, Sensoren, die Bewegungsmuster registrieren. Biometrik, also die Identifikation von Menschen anhand ihrer körperlichen oder verhaltensbasierten Merkmale, gilt vielen als Fortschritt: effizient, bequem und sicher. Doch im Schatten der Technik wächst eine stille Gefahr: die Normalisierung umfassender Überwachung.
Die Illusion der Sicherheit

Die ursprüngliche Idee biometrischer Systeme war es, die Identifikation von Personen zu vereinfachen und gleichzeitig sicherer zu gestalten. Ein Fingerabdruck oder ein Gesichtsscan können schließlich nicht verloren oder vergessen werden wie ein Passwort oder ein Ausweis. Biometrik galt als modernes Werkzeug für Sicherheit und Komfort, zum Beispiel beim Entsperren eines Smartphones oder bei der automatisierten Passkontrolle an Flughäfen.
Doch mit der zunehmenden Verbreitung dieser Technologie zeigen sich auch ihre Schattenseiten. Denn biometrische Merkmale sind nicht einfach nur Daten, sie sind ein Teil unserer Identität. Sie verraten nicht nur, wer wir sind, sondern unter Umständen auch, wie wir uns fühlen, wohin wir uns bewegen oder mit wem wir uns treffen. Wer Zugriff auf solche Daten hat, gewinnt nicht nur Kontrolle, sondern auch Macht über Individuen, Gruppen und letztlich ganze Gesellschaften.
Der gläserne Bürger

Besonders bedenklich ist der Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie im öffentlichen Raum. In China etwa wird ein großflächiges Netz von Kameras genutzt, um Bürgerinnen und Bürger in Echtzeit zu identifizieren und zu verfolgen. Dieses System dient nicht nur der Kriminalitätsbekämpfung, sondern ist zentraler Bestandteil des sogenannten Sozialkreditsystems. [1]
Auch in liberalen Demokratien ist die Tendenz zur Überwachung deutlich spürbar. In London etwa testete die Polizei wiederholt den Einsatz mobiler Gesichtserkennung. Eine Analyse der University of Essex kam zu dem Schluss, dass in bis zu 81 % der Fälle falsche Treffer generiert wurden. In Deutschland sollen die digitalen Überwachungsmaßnahmen ebenfalls massiv ausgeweitet werden. [2]
Ein besonders aufsehenerregender Fall ereignete sich 2019 in den USA, als Robert Williams, ein Afroamerikaner aus Detroit, fälschlich durch ein Gesichtserkennungssystem beschuldigt und festgenommen wurde, obwohl er sich zum Tatzeitpunkt nachweislich nicht am Tatort befand. Der Fall sorgte international für Kritik an der Technologie und ihrer Tendenz, rassistische Verzerrungen zu verstärken. [3]
Auch große Tech-Konzerne wie Facebook nutzten jahrelang Gesichtserkennung zur automatisierten Markierung auf Fotos. Erst 2021 kündigte das Unternehmen an, diese Funktion weltweit zu deaktivieren, unter Verweis auf Datenschutzbedenken und regulatorischen Druck. [4]
Unsichtbare Systeme und Unumkehrbarkeit

Ein besonderes Problem biometrischer Überwachung ist ihre Unsichtbarkeit. Während klassische Überwachungsmaßnahmen, wie Polizisten auf der Straße oder Metalldetektoren, sichtbar und damit auch kritisierbar sind, funktionieren biometrische Systeme oft im Verborgenen. Kameras erkennen Gesichter im Vorübergehen, Mikrofone erfassen Stimmen im Hintergrund. Die betroffene Person bemerkt womöglich gar nicht, dass sie gerade erfasst, analysiert und bewertet wird. Diese Unsichtbarkeit macht den Widerstand schwierig und die gesellschaftliche Diskussion umso dringlicher.
Ein weiteres Problem liegt in der Unveränderbarkeit biometrischer Daten. Wird ein Passwort gestohlen, lässt es sich ändern. Wird ein Fingerabdruck oder eine Gesichtserkennung kompromittiert, ist das kaum möglich. Der Chaos Computer Club etwa demonstrierte schon 2014, wie sich Fingerabdrücke von Politikern aus öffentlich zugänglichem Bildmaterial rekonstruieren lassen. Ein anschauliches Beispiel für die langfristigen Risiken biometrischer Speicherung. [5]
Regeln für den Technologischen Fortschritt
Natürlich lässt sich nicht bestreiten, dass biometrische Technologien auch positive Aspekte haben können. In bestimmten Sicherheitsbereichen, etwa in Flughäfen oder Hochsicherheitszonen, können sie sinnvoll eingesetzt werden. Auch im medizinischen Bereich könnten sie künftig helfen, Krankheiten frühzeitig zu erkennen. Doch diese Vorteile dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir uns mit jedem neuen biometrischen System ein Stück Kontrolle über unsere Identität aus der Hand geben.
Der technologische Fortschritt ist nicht aufzuhalten und Regeln sollten kein Selbstzweck sein. Aber der Fortschritt lässt sich sinnvoll gestalten durch klare gesetzliche Rahmenbedingungen, durch öffentliche Debatten und durch eine kritische Zivilgesellschaft. Es braucht Transparenz, Rechenschaftspflicht und vor allem die konsequente Anwendung des Grundsatzes: Was technisch möglich ist, ist nicht automatisch legitim.
Fazit
Biometrik kann unter bestimmten Voraussetzungen Sicherheit erhöhen. Doch wenn sie zur lückenlosen Überwachung führt, verlieren wir nicht nur unsere Anonymität im öffentlichen Raum, sondern wir verlieren einen Teil unserer Freiheit. Die Frage ist nicht, ob wir die Technologie nutzen sollten, sondern wie und in wessen Interesse.
Quellen
[1] Human Rights Watch (2019): China’s Algorithms of Repression. Online unter: https://www.hrw.org/report/2019/05/01/chinas-algorithms-repression/reverse-engineering-xinjiang-police-mass
[2] University of Essex (2019): Report on the police use of facial recognition technologies identifies concerns. Online unter: https://www.essex.ac.uk/research/showcase/report-on-the-police-use-of-facial-recognition-technology-identifies-significant-concerns
[3] American Civil Liberties Union (2024): Williams v. City of Detroit. Online unter: https://www.aclu.org/cases/williams-v-city-of-detroit-face-recognition-false-arrest
[4] Jerome Pesenti (2021): An Update On Our Use of Face Recognition. Online unter: https://about.fb.com/news/2021/11/update-on-use-of-face-recognition/
[5] Chaos Computer Club (2014): Fingerabdruck-Biometrie endgültig nur noch Sicherheitsplacebo. Online unter: https://www.ccc.de/de/updates/2014/ursel
Pascal gründete gemeinsam mit Jan im Herbst 2020 ViOffice. Dabei kümmert er sich vor allem um das Marketing, die Finanzen und Sales. Nach seinen Abschlüssen in der Politikwissenschaft, der Volkswirtschaftslehre und der angewandten Statistik ist er weiterhin in der wissenschaftlichen Forschung tätig. Mit ViOffice möchte er für alle den Zugang zu sicherer Software aus Europa ermöglichen und insbesondere gemeinnützige Vereine bei der Digitalisierung unterstützen.